Das Glacis Open Air Magdeburg wird nicht fortgeführt.

Datum
30
/
11
/
2024
Thema
Glacis Open Air

Glacis Open Air Magdeburg ist eine Veranstaltung unter der Trägerschaft des Musikkombinat Magdeburg e.V.
Veranstaltungsleitung: Evelyn Fischer, Gina Mund, Philipp Kloss

Das Glacis Open Air Magdeburg wird nicht fortgeführt. Wir schließen dieses Kapitel wieder.

Die Kurzform

Im April 2024 traten wir, die bisherigen Hauptveranstalter:innen, von der Leitung des Glacis Open Air zurück und damit trat auch das Musikkombinat Magdeburg von der Trägerschaft der Veranstaltung zurück. Grund sind Sicherheitsbedenken, Finanzierungsschwierigkeiten, zu hohe Risiken und fehlende Schlüsselpersonen in der Organisation.

Unter den mitveranstaltenden Kollektiven konnte keine Nachfolgeschaft gefunden werden.
Darum schließen wir das Kapitel GLACIS OPEN AIR MAGDEBURG wieder.

Glacis Open Air 2022 - Fotografin: Catherina Stuckmann


Was sind die Gründe?

1. Grund: Sicherheit

Beim Glacis Open Air 2023 hatten wir dank des tollen Programms und des perfekten Wetters geschätzte 12.000 Besucher:innen. Dieser große Sprung zum Vorjahr zeichnete sich bereits lange vorher ab, und so haben wir in den letzten Wochen vor dem Open Air viel Zeit und Vorbereitung aufgewendet, um die Sicherheit für alle Gäste und Acts, aber auch für das Material vor Ort und den Park selbst, gewährleisten zu können. Letztlich haben wir über 15.000 Euro für Sicherheit und behördliche Auflagen ausgegeben (~22 % unseres Budgets).

Wir hatten etliche Sicherheits-, Ordnungs-, Sanitäts- und Awarenesskräfte vor Ort, haben Zäune, Gitter und Notbeleuchtungen aufgestellt, Versicherungen abgeschlossen, Leute geschult, dutzende Seiten Sicherheitskonzepte und Safety-Guidelines verfasst und vieles mehr. Es lief trotzdem nicht rund, aber es gab unseres Wissens keine schweren Vorfälle oder Verletzungen.

Bei 12.000 Menschen, einem Einlassstopp und potenziellen Gefahrenstellen im Park wie der Fußgänger:innenbrücke oder dem Magdeburger Ring hätte leicht etwas passieren können. Wir hatten nicht das Gefühl, die Situation durchgehend vollständig unter Kontrolle zu haben. Rückblickend bleibt eher das Gefühl von: „Gut gemacht, aber auch Glück gehabt.“

Die Frage im Nachgang: „Wie können wir beim nächsten Mal die Sicherheit effektiv verbessern?“ konnten wir nicht zufriedenstellend beantworten. Jedes Jahr kontrolliert am Ernstfall vorbeizuschrammen, ist jedoch keine Option. Das Thema Sicherheit ist eine Sollbruchstelle geworden, die wir (Musikkombinat) nicht zu lösen wissen und daher nicht mehr mittragen können.

Glacis Open Air 2023 - Fotografin: Marie Fröhlich

Hätten da nicht einfach mehr Securities geholfen?

Natürlich ist immer mehr möglich: mehr Security, mehr Zäune, mehr alles. Aber mit dem bisherigen Konzept des Glacis Open Air ist „mehr“ schwer finanzierbar, ohne große Abstriche beim Kulturbudget zu machen. Das führt uns zum nächsten Grund...

2. Grund: Finanzen

Das Glacis Open Air und auch die Vorgängerveranstaltung „Wohnzimmerkonzerte Magdeburg Open Air“ sind gemeinnützig organisiert und ohne Eintritt. Jeder Mensch soll sich diesen kulturellen Tag leisten können. Finanziert wird alles durch mehrere Standbeine: Förderungen, Sponsorings, Getränkeerlöse, Merchandise-Verkäufe, Crowdfunding, Gastro-Beteiligungen und letztlich auch die Vielzahl an Spenden. Das Glacis Open Air 2023 hatte ein 6-stelliges Gesamtbudget. Ob das wirklich ausreicht, wissen wir immer erst hinterher.

Das Wetter spielt die größte Rolle. Bei Regen kommen nur wenige Gäste, entsprechend gering fallen dann die Einnahmen aus. Dann hat niemand Spaß, es muss aber trotzdem auf- und abgebaut werden. Wird das Open Air wegen Regen abgesagt, verfallen die Förder- und Sponsorengelder, es gibt keine Gastro-Einnahmen und keine Spenden, aber allen Acts und Dienstleister:innen steht trotzdem ihr Honorar zu. Die Ausfallversicherung greift in dem Fall nicht, es sei denn, das Gelände steht unter Wasser und ist unbespielbar.

Dieses Geflecht lässt also nur eine gute Lösung zu: Gutes Wetter. Beim Glacis Open Air 2023 war perfektes Wetter, und wir durften um die 12.000 Gäste begrüßen. Trotzdem verzeichneten wir ein Minus von einigen Hundert Euro.

Gibt es da nicht viele Fördermittel?

Wir hatten Bundesmittel, Landesmittel, Stiftungsgelder und auch städtische Mittel zur Verfügung. Die Akquise und Betreuung all dieser Fördergelder ist sehr komplex, verschlingt viel Zeit und bedarf Know-how sowie personeller Kapazität. Die Abwicklung und Abrechnung wird sich zwei Jahre, also noch bis Mitte 2025, hinziehen. Ein großer Förderer aus den vergangenen Jahren war uns sogar diesmal abgesprungen. Dieses Risiko besteht immer, und das erfährt man mitunter auch erst ein paar Wochen vor der Veranstaltung.

Was ist mit Sponsorings?

Viele große Sponsor:innen haben wir seit Jahren im Boot. Dafür sind wir dankbar. Da wir uns immer als Subkultur-Veranstaltung gesehen haben, war es uns wichtig, nicht alles mit Firmenlogos vollzutackern oder große Werbebanner aufzuhängen. Nicht alle Sponsor:innen haben dafür Verständnis. Natürlich wäre trotzdem noch mehr möglich gewesen. Sponsor:innen-Akquise ist zähe Arbeit. Mit Kulturschaffen hat das irgendwann nicht mehr viel zu tun.

Außerdem sitzt das Geld generell nicht mehr so locker, und die Preise stiegen nach Corona und dem Krieg in der Ukraine sprunghaft an. Die Finanzierung des Glacis Open Air ist also ein enormes Risiko für den Trägerverein und damit für den Vorstand. Für ein Ehrenamt ist es viel verlangt, sich jährlich einem Risiko in 6-stelliger Höhe auszusetzen. Darum haben wir (Musikkombinat) entschieden, dieses Risiko nicht mehr eingehen zu wollen.

Aber andere kriegen es ja auch hin, oder?

Andere haben sich an dieser Stelle längst für Ticketing entschieden und bei der Größe des Open Airs einen eigenen Verein oder sogar eine Firma gegründet. Wer ein Ticket gekauft hat, kommt eher auch bei Regen vorbei. Und wenn nicht, hat die Person ja trotzdem schon gezahlt. Durch Ticketeinnahmen ist schon frühzeitig Geld in der Kasse, und damit wird ersichtlich, ob und wie die Show gegenfinanziert ist.

Das lässt vielleicht sogar bezahlte Mitarbeiter:innen zu, die sich ganz der Veranstaltung widmen können.

Warum nimmt das Glacis Open Air keinen Eintritt oder verkauft Tickets?

Gewachsen aus einem Projekt der Wohnzimmerkonzerte, gehörte es zum Grundkonzept, dass der Eintritt frei ist, damit sich möglichst viele Menschen den Zutritt zum Glacis Open Air leisten können. Die herumgehende Hutkasse war jedes Jahr ein Symbol dafür. Eintrittspreise sind immer Abwägungen zu Besucher:innen, die dann nicht mehr vorbeikommen und den Spenden, die stattdessen im Hut landen.

Lange war es schlicht sinniger den Eintritt frei zu lassen und mehr für die Hutkasse zu werben, als sich die Logistik und das Personal anzutun, die bedeuten 5 oder 10 Euro Eintritt zu kassieren. Gemessen am gebotenen Programm, wären Kartenpreise von 30€ aufwärts gerechtfertigt gewesen. Aber dann hätten wir keine 12.000 Gäste gehabt, die wiederum nicht alle zur Bar und zur Gastro kommen.

Wie man es auch dreht, freier Eintritt ist und bleibt eine gute Lösung für ein ehrenamtliches Event dieser Größe; ganz besonders innerstädtisch. Aber für den Fall, dass sich aus den Kollektiven heraus eine Fortsetzung des Glacis Open Air ergeben hätte, hatten wir klargemacht, dass auch eine Konzeptänderung hin zu Eintritt und Tickets für uns denkbar wäre, solange es auch reduzierte Preise oder Solidartickets gibt.

Hätte man es nicht wieder kleiner machen können?

Wir sind schon sehr langsam und organisch gewachsen. Unsere Vision war eigentlich, nach und nach mehr Wiesen des Parks zu bespielen und den grünen Ring um die Stadt erneut zu schließen. Immer mehr Akteur:innen wollten beim Glacis Open Air mitmachen, eigenes Programm oder eigene Areale aufmachen.

Mit dem Namen, den wir uns in den Jahren erarbeitet hatten, wären trotzdem nicht weniger Besucher:innen gekommen. Die Enttäuschung wäre dann groß geworden. Der Aufwand aber nicht viel geringer. Die Sicherheitshürden blieben fast gleich groß. Das finanzielle Risiko kaum anders. Die Notwendigkeit ein Team und Freiwillige zu akquirieren und zu motivieren, bliebe dieselbe. Das Glacis Open Air hatte einfach eine kritische Masse überschritten. Es wieder zu verkleinern, hätte eine fast genauso große Aufgabe werden können, wie es gleich groß zu halten.

Hätte man es nicht 2-tägig aufziehen können? Gleiche Kosten, aber doppelter Umsatz?

Ja, dieses Thema kam jedes Jahr auf. Es ist ein Irrtum, dass sich die Kosten nicht erhöhen, wenn man einen Tag dranhängt. Zugegeben zahlt man nur einmal für Zelte, Bühnen, Infrastruktur usw. aber dafür nochmal für Gagen, nochmal Security, nochmal Catering usw. ca. 50% der Kosten kommen am zweiten Tag nochmal.
Aber die Einnahmen kommen nicht unbedingt nochmal, weil viele Magdeburger:innen nach dem ersten Tag schon gesättigt sind und das Publikum tauscht sich nicht völlig aus.

Das Team ist insgesamt schon 4-5 Tage vor Ort und müsste noch einen Tag dranhängen, die freiwilligen Helfenden müssten noch einen Tag supporten, der Koordinationsaufwand für die Day-Crew verdoppelt sich, das Wetter muss einen weiteren Tag mitspielen. Alles machbar, aber mit geringen Aussichten, dass wirklich mehr Geld hängen bleibt. Dafür mehr Risiko und mehr Frustpotenzial beim Team.

Glacis Open Air 2023 - Fotografin: Marie Fröhlich

Das bringt uns zum dritten Grund. Den Sicherheits- und Finanzrisiken hätten wir uns dennoch gestellt, mit einem starken Team und Motivation im Rücken. Jedoch…

3. Grund: Engagement

Motivation ist die einzige Währung der Subkultur. Da im Ehrenamt niemand bezahlt wird, ist die Begeisterung, beim Kulturschaffen mitwirken zu können, der Antrieb der Subkultur.

Das Glacis Open Air wurde seit jeher ehrenamtlich organisiert, das heißt: nebenberuflich, neben dem Studium, neben anderen Projekten und neben der Familie. Ehrenamtlich heißt jedoch nicht geringwertiger als hauptamtlich. Beim Glacis Open Air wurden Hunderte Helfer:innen, Dienstleister:innen und Acts koordiniert. Gerade die vielen involvierten Profis und Firmen erwarten dabei Professionalität, denn anders als bei uns selbst, sind sie auf eine Bezahlung angewiesen.

Das ehrenamtliche Engagement fürs Glacis Open Air MUSS also auch professionell sein. Was sich wie Arbeit anfühlt, aber Kulturschaffen sein soll, zehrt natürlich am Engagement. Diese Verantwortung für Dienstleister:innen, Crewmitglieder, Budgets und Verbindlichkeiten kann eine Belastung sein. Fristen, Fehler und Frust gehören dazu, nagen an der Motivation, und nach einem Jahr Planung ist es normal, dass nicht alle an Bord bleiben mögen.

Bereits vor dem Glacis Open Air 2023 zeichnete sich ab, dass einige Schlüsselfiguren fürs nächste Mal nicht mehr dabei sein würden. Leute, die nachrücken könnten, geschweige denn angelernt werden, waren nicht in Sicht. Auch spürten wir hier und da Skepsis in den eigenen Reihen. Unsere Bemühungen, die Teams und Kollektive zu entlasten, gelangen uns nicht ausreichend. Wir hätten ein Team gebraucht, das sich nur ums Team kümmert und die Organisation organisiert.

War das denn von Anfang an so?

Die Pandemie machte 2021 unsere üblichen vielen kleinen Shows des Musikkombinats nicht mehr möglich, also haben wir mit dem Glacis Open Air eine einzelne große Veranstaltung aus der Taufe gehoben. Nach der Pandemie war jedoch nicht genug Kapazität, um das Open Air UND noch kleinere Shows zu planen. Fast alle Zeit ging fürs Glacis Open Air drauf.

Aber nicht alle können sich motivieren, im Januar schon für eine Show im Juli zu planen. Enge Fristen motivieren genauso wenig. Letztlich läuft es fast immer auf Stress und Nachtschichten hinaus. Über Monate hinweg abends zu Hause auf eine Veranstaltung hin zu planen, fühlt sich einfach nicht nach Kulturschaffen an.

Darum hatten wir für 2024 eine Pause angesetzt, mit dem Ziel, die Teamstruktur zu verändern und das Glacis Open Air personell nachhaltiger aufstellen zu können. Aber diesen Knoten aus fehlenden Schlüsselpersonen, Sicherheitsrisiken und Finanzrisiken konnten wir nicht lösen. Alles bedingte sich gegenseitig. Wir waren einfach zu weit herausgerudert für einen gemeinnützigen Verein und zu groß geworden für eine ehrenamtliche Veranstaltung.

Ein Glacis Open Air 2025 wäre unter diesen Vorzeichen nur noch leichtsinnig gewesen. Darum haben wir (Musikkombinat) entschieden, das Open Air nicht mehr zu veranstalten und den Kollektiven die Möglichkeit gegeben, die Trägerschaft zu übernehmen.

Leider fand sich aus den Kollektiven heraus keine Gruppe, die das Open Air übernehmen wollte. Darum schließen wir dieses Kapitel nun. Das Glacis Open Air Magdeburg ist Geschichte.

Was machen die ganzen Vereine und Kollektive jetzt?

Wir sagen immer: Alles hat ein Ende, nur die Kultur hat keins. Alle machen weiter.

Wir, das Musikkombinat Magdeburg, machen weiterhin Veranstaltungen, Konzeptkonzerte und Pop-up-Shows an ungewöhnlichen Orten. Wir haben eine lange Liste an Locations, die wir noch bespielen werden. Und wir merken seit diesem Jahr erneut, dass die Motivation unseres Teams genau hier liegt. Außerdem veranstalten wir die Datschenkonzerte und etliche andere Kooperationsshows. Auch neue Formate wie Workshops und ein Podcast sind in Planung.

Die Fette-Beute-Crew, bestehend aus Tor5, Urbanpiraten und platz*machen, ist erst durchs Glacis Open Air so richtig zusammengewachsen und macht eigene Veranstaltungen und Konzerte. Da kommt noch so einiges.

Die Love Foundation Magdeburg und der Creator e.V. haben mit dem CoSy Festival auf Schloss Dornburg ein ganz neues dreitägiges Event für Tausende Besucher:innen geschaffen.

Der Kultur Hafen macht unbeirrt weiter Veranstaltungen wie Each One Teach One und Showcases, z. B. beim Wurzel Festival.

Auch beim Poetry-Slam-Verein MINDdrop ist weiterhin Bewegung drin, mit vielen großen und kleinen Formaten, Meisterschaften und Kooperationen an verschiedenen Orten.

Und der Verein rund ums Ravelin 2 wird dafür sorgen, dass die alte Festung noch etliche Jahrzehnte erhalten bleibt. Schließlich haben sie die Anlage nach nur 10 Jahren fast vollständig saniert.

Glacis Open Air 2023 - Fotografin Catherina Stuckmann

Tja… und nun? Ist es ein Scheitern? Ein Aufgeben?

Ein Aufhören.

Wir alle haben das Kapitel Glacis Open Air zusammen geschrieben und nun den letzten Punkt gesetzt. Es ist eine großartige und vor allem runde Geschichte geworden.

In puncto kostenfreies Showcase-Open-Air haben wir für Magdeburg neue Maßstäbe gesetzt. Kooperationen sind entstanden. Alle haben irre viel gelernt. Wir konnten Acts einladen, die sich sonst nicht hierher verirren.

Beinahe täglich kommen immer noch Anfragen von Bands und Agenturen rein, die beim Glacis Open Air auftreten wollen. Behördenvertreter laden uns zu Meetings ein, um unsere Meinung zu Open Airs zu hören. Gäste erzählen durchweg positiv vom Glacis Open Air. Obwohl die Kulturlandschaft Magdeburgs regelmäßig belächelt wird, spricht man fast schon mit Stolz über das Glacis Open Air und die Menschen dahinter. Der Dokumentarfilm dazu wird wohl unser Denkmal werden.

Das Glacis Open Air wird noch lange nachhallen, denn wir haben da etwas Nachhaltiges für Magdeburg geschaffen. Und hoffentlich werden neue Projekte entstehen, aus dem Wunsch heraus, diese Lücke zu füllen. Das würden wir uns wünschen. Es muss weitergehen.

Mit besten Grüßen
Evelyn Fischer, Gina Mund, Philipp Kloss

Veranstaltungsleitung des Glacis Open Air Magdeburg
Musikkombinat Magdeburg e.V.

Credits: 
Fotografin: Christin Küster Photography (Titelbild)